Der Umgang mit Flüchtlingen und Zuwanderern ist für Österreichs Kirche und Gesellschaft eine „epochale Herausforderung": „Die Hilfsbereitschaft und das freiwillige Engagement sind ebenso deutlich im Wachsen wie rassistische und menschenhassende Reaktionen gegenüber Flüchtlingen", heißt es im Thesenpapier der Expertengruppe „Kirche in der Gesellschaft" des Zukunftsforums der Katholischen Kirche in Österreich, das nun veröffentlicht wurde. Die Aufnahme von Flüchtlingen sei jedoch „menschenrechtlich sowie vom Glauben her verpflichtend". Darüber hinaus ermögliche Migration „soziale, kulturelle, wirtschaftliche, politische, auch religiöse Innovation", wird betont. Den Spannungen und Konflikten, die Migration auch mit sich bringt, könnten Kirche und Politik mit einer Reihe von Maßnahmen begegnen.
Zu diesen Maßnahmen zählt der Bericht, „mit Flüchtlingen und Zuwanderern zu sprechen statt nur über sie, statt für sie etwas tun mit ihnen etwas tun und leben". Migranten müssten auch stärker in gesellschaftlichen, politischen und kirchlichen Institutionen repräsentiert sein. Gelungene Modelle des guten Zusammenlebens und sozialen Engagements sollten öffentlich sichtbar gemacht werden, damit andere von ihnen lernen können.
Religion kann Ursache und Problemlösung sein
Religion und Religionsgemeinschaften würden im Kontext von Migration oft als Problem angesehen, wird weiter festgestellt. Dieser Kritik gelte es Rechnung zu tragen, „indem jene Personen, Strukturen, Institutionen, Inhalte und Denkformen identifiziert werden, die problemverstärkend wirken". Zugleich sei "können Religion und Religionsgemeinschaften zu einer positiven Wahrnehmung und Wirkung von Migration sowie zur Lösung von Problemen im Kontext von Migration beitragen“, heißt es aus dem „Zukunftsforum“. Die Seelsorge sollte „den Problemen von Menschen, die von Migration betroffen sind: der einheimischen wie der zugewanderten“, besonderes Augenmerk schenken.
Soziale Schieflagen und politische Konflikte würden mitunter "religionisiert", d.h. mit Religion als Ursache erklärt. Der Verweis auf Religion als Ursache "verschleiert die dahinterliegenden Fragen nach sozialer, politischer, rechtlicher und kultureller Gerechtigkeit. Diese gilt es freizulegen."
Gleichzeitig gelte es die Ursachen für die globalen Migrationen und Fluchtbewegungen differenziert zu erforschen und zu beseitigen: "Armut, Klimawandel, Krieg und Unterdrückung forcieren Migration und Flucht und hängen nicht selten mit dem Lebensstil, der Politik und der Wirtschaft des Westens zusammen. Migration und internationale Entwicklungspolitik gehören untrennbar zusammen“, so das Expertenpapier des „Zukunftsforums".
Generell plädieren die Autoren dafür, Zuwanderung als Chance wahrzunehmen. Durch sie könne man lernen, dass eine homogene Gesellschaft und Kirche eine „Fiktion“ ist. Migration mache zudem Probleme der Gesellschaft und Kirche sichtbar, die alle betreffen: "Sie ist ein ausgezeichneter Lernort für Gerechtigkeit und Teilhabe, für das Zusammenleben in Verschiedenheit, für das Zueinander von universalen und partikulären (kulturellen) Werten, Normen und Rechten; für das Verständnis von Identität, Zugehörigkeit und Heimat. Diese Themen bergen Spannungen und Konflikte und verlangen nach Foren des Austausches auf allen Ebenen von Gesellschaft und Kirche."
„Kirche ohne Migranten ist spirituelles Alarmsignal“
Entschieden streicht der Text des „Zukunftsforums“ die christliche Sicht auf Flüchtlinge hervor und verweist dazu auf die Instruktion des Päpstlichen Migrantenrates aus dem dem Jahr 2004 mit dem Titel „Die Liebe Christi zu den Migranten“. Darin heißt es, die Kirche habe in den Migranten immer das Bild Christi gesehen, der gesagt hat: „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.“ Die Schlussfolgerung des „Zukunftsforums“ daraus: „Eine Kirche ohne MigrantInnen ist ein spirituelles Alarmsignal."
Weitere Themenfelder des Expertenpapiers zu "Kirche in der Gesellschaft" sind der Umgang der Kirche mit den gegenwärtigen Entwicklungen in den demokratischen Gesellschaften und dem damit verbundenen Wertewandel. Die Kirche benötige "Gegenwartskompetenz": "Viele äußern den Wunsch, dass die Kirche in der Gesellschaft aktiv Debatten zu den anstehenden großen Fragen (Bioethik, Migration und Asyl, Sterbebegleitung, Würde des Menschen) anzettelt. Allerdings erwartet man von ihren VertreterInnen sachkundige Argumente, Kommunikation auf Augenhöhe, die Bereitschaft und Fähigkeit, mit Widerspruch und Konflikten umzugehen, und den Verzicht auf den Habitus des 'erhobenen Zeigefingers' sowie der Vereinnahmung. Die Kirche soll selbst mit Kritik konstruktiv umgehen können."
Pflegearbeit aufwerten
Kritisch setzen sich die Autoren speziell mit der Tendenz auseinander, dass ganze Gruppen von Menschen zunehmend als „überflüssig“ betrachtet werden: Arme, Alte, Pflegebedürftige, Kranke, Ungeborene. Beispielhaft wird dieses Problem anhand des Bereiches Pflege deutlich gemacht.
Arbeit sei mehr als Erwerbsarbeit, deshalb müssten auch Arbeitsfelder wie Pflege von Familienangehörigen sowie ehrenamtliches und gesellschaftliches Engagement als Arbeit wahrgenommen und politisch aufgewertet werden. "Der überwiegende Teil der Care-Arbeit wird in Familien, von Frauen und unentgeltlich geleistet. In der Folge entstehen für die Pflegenden häufig finanzielle Nachteile wie der Verlust des Einkommens und der Pension. Das trifft vor allem Frauen."
Weiters entscheide häufig die wirtschaftliche Situation der Betroffenen bzw. der Angehörigen über Qualität und Quantität der Pflege. Es stelle sich daher die Frage, wie „Pflege für alle als Form institutionalisierter Solidarität gesichert und flexible und leistbare Angebote für pflegende Angehörige weiterentwickelt werden können“. In Österreich „werden etwa vier Prozent der Pflege von alten Menschen von ausländischen Pflegerinnen und Pflegern geleistet – Tendenz steigend. „Deren Arbeitsbedingungen liegen aktuell in einem gesetzlichen Graubereich. Gleichzeitig hat die Pflegemigration Folgewirkungen in den Herkunftsländern, da eventuelle Pflegeleistungen (Kinder, Alte) dort von anderen übernommen werden müssen“, wird festgehalten. Die Kirche müsse fragen, welche politische, soziale und seelsorgliche Unterstützung Pflegende – im speziellen Pflegemigranten - benötigen.
Die Analysen und Handlungsvorschläge sind von Experten unter der Leitung der Wiener Theologin Regina Polak erstellt worden. Dazu wurden auch ausführliche Gespräche mit Betroffenen geführt. Die Ergebnisse verstehen sich als Impulse für weitere Debatten.